BGH: Keine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in einem Patentstreit um ein teilnichtiges Patent

veröffentlicht am 10. Oktober 2016

BGH, Beschluss vom 12.09.2016, Az. X ZR 14/15
§ 719 Abs. 1 ZPO

Den Beschluss des BGH haben wir hier besprochen (BGH – Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung) und den Volltext nachstehend für Sie wiedergegeben:


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Bundesgerichtshof

Beschluss

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2016 durch …
beschlossen:

Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens betreffend das europäische Patent 1 512 053 ausgesetzt.

Gründe

I.
Auf die Berufung der Klägerin gegen ein klageabweisendes Urteil des Landgerichts hat das Berufungsgericht die Beklagte wegen Verletzung des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 512 053 (Klagepatents) betreffend ein Verfahren zum Betreiben einer automatischen Vorrichtung mittels eines elektronischen Leitsystems (Patentanspruch 1) sowie ein elektronisches Leitsystem zum Betreiben einer automatischen Vorrichtung (Patentanspruch 40) durch den Vertrieb von Mährobotern in drei Ausführungsformen zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Rückruf verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte Beschwerde mit dem Ziel der Zulassung der Revision erhoben, über
die der Senat noch nicht entschieden hat. Unterdessen hat das Patentgericht auf die während des landgerichtlichen Verfahrens erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten (5 Ni 19/13) das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass in die unabhängigen Patentansprüche 1 und 40 jeweils gegenüber der erteilten Fassung folgende beschränkende Merkmale aufgenommen wurden

„said sensing system (11, 12, 13) detects when the magnetic field, which is being generated from the first current pulse (2), changes direction and, since the magnetic field on the opposite sides of the cable (1) has an opposite direction,
recognizes when the automatic device (2) or a receiver (11) for detecting the magnetic field comprised by the sensing system (11, 12, 13) crosses the electrical cable (1) or
detects on which side of the electrical cable (1) the automatic device (2) or a receiver (11) for detecting the magnetic field comprised by the sensing system (11, 12, 13) is positioned“,

und sich die Unteransprüche 2, 3, 21, 22, 32 und 33 auf diese Fassung des Patentanspruchs 1 unmittelbar oder mittelbar rückbeziehen.

Das Landgericht hat gegen die Beklagte Zwangsgelder in Höhe von jeweils 5.000 € festgesetzt, um diese zur Vornahme der Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie zum Rückruf entsprechend dem Urteil des Berufungsgerichts anzuhalten. Nachdem die Beklagte zur Abwendung der weiteren Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 250.000 € geleistet und beim Landgericht Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung gestellt hat, hat die Klägerin der Beklagten eine Bürgschaftserklärung in gleicher Höhe zustellen lassen und die Fortsetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Berufungsgerichts angekündigt.

Die Beklagte beantragt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Berufungsgerichts. Zudem hat sie mit Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, das Beschwerdeverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren auszusetzen. Die Klägerin ist beiden Anträgen entgegengetreten.

II.
Der zulässige Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist nicht begründet.

1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Zwangsvollstreckung in entsprechender Anwendung von § 719 Abs. 1 ZPO auch im Revisionsverfahren und im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision grundsätzlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren durch das Patentgericht für nichtig erklärt worden ist. Dies wird durch die Erwägung getragen, dass der dem angefochtenen Berufungsurteil zu Grunde liegenden Einschätzung, die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, mit dem Urteil des Patentgerichts die Grundlage entzogen ist, es sei denn, es ergeben sich im Einzelfall gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass das Urteil des Patentgerichts im Berufungsverfahren aller Voraussicht nach nicht standhalten wird (BGH, Beschluss vom 16. September 2014 X
ZR 61/13, BGHZ 202, 288 Rn. 7 ff. Kurznachrichten).

Eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung kommt allerdings regelmäßig nicht in Betracht, wenn das Klagepatent im Urteil des Patentgerichts nur teilweise durch die Aufnahme beschränkender Merkmale in einen oder mehrere Patentansprüche für nichtig erklärt worden ist, das Urteil des Berufungsgerichts tatrichterliche Feststellungen enthält, aus denen sich eine Verwirklichung der Patentansprüche auch in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils ergibt und die Beklagte nicht aufzeigt, dass diese tatrichterlichen Feststellungen im Berufungsurteil verfahrensfehlerhaft getroffen worden sind. Denn die Einschätzung des Berufungsurteils, die Nichtigkeitsklage werde erfolglos bleiben, ist unter diesen Voraussetzungen durch das Urteil des Patentgerichts nicht in entscheidungserheblichem Umfang erschüttert worden.

Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach es zur Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör auch dann, wenn das Berufungsgericht den Patentverletzungsstreit auf der Grundlage der erteilten Patentansprüche entschieden hat und das Patent nachfolgend durch ein Patentnichtigkeitsurteil dadurch teilweise für nichtig erklärt wird, dass beschränkende Merkmale in einen oder mehrere Patentansprüche aufgenommen werden, nicht erforderlich ist, die Revision zuzulassen, wenn es angesichts der Feststellungen des Tatrichters nicht erheblich ist, ob das Patent die eine oder andere Fassung hat (BGH, Beschluss vom 10. November 2009 X ZR 11/06, GRUR 2010, 272 Produktionsrückstandsentsorgung).

2.
Im vorliegenden Fall ist dem Tatbestand des Urteils des Berufungsgerichts zu entnehmen, dass sämtliche angegriffene Ausführungsformen einen Mähroboter und ein elektronisches Leitsystem zur Abgrenzung des Arbeitsbereichs umfassen. Der Mähroboter arbeitet innerhalb einer Fläche, die durch ein unter der Erdoberfläche verlegtes Stromkabel begrenzt wird. Dieses Begren
zungskabel ist über die Andockstation mit dem Stromnetz verbunden. Ein Signalgeber innerhalb der Andockstation leitet in bestimmten Zeitabständen Stromimpulse durch das Kabel. Diese Stromimpulse erzeugen magnetische Felder, die ein auf dem Mähroboter angebrachter Sensor detektiert und an die Steuereinheit des Mähroboters weiterleitet. Da die Richtung des magnetischen Feldes auf beiden Seiten des Stromkabels entgegengesetzt ist, erkennt die Steuereinheit anhand dieser Information, ob sich der Mähroboter innerhalb des abgegrenzten Arbeitsbereichs befindet oder das Begrenzungskabel schon überschritten hat.

Daraus folgt, dass das Sensorsystem des elektronischen Leitsystems detektiert, wenn das magnetische Feld seine Richtung ändert, wobei das magnetische Feld von ersten Stromimpulsen generiert wird. Zudem erkennt das Sensorsystem gemäß der ersten Alternative der gegenüber der erteilten Fassung hinzugekommenen Merkmale, wenn der Mähroboter (die automatische Vorrichtung) oder der Receiver des Sensorsystems zum Detektieren des Magnetfeldes das elektrische Kabel überquert, wobei das magnetische Feld auf der anderen Seite des Kabels eine entgegengesetzte Richtung hat.

Die Klägerin hat darauf, dass sich die Verwirklichung dieser in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils in die Patentansprüche 1 und 40 aufgenommenen Merkmale aus dem Tatbestand des Berufungsurteils ergibt, bereits in ihrer Erwiderung auf die Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen. Die Beklagte zeigt in ihrem nachfolgenden Einstellungsantrag nicht auf, weshalb es unter diesen Umständen an tatrichterlichen Feststellungen zum Vorliegen der im Urteil des Patentgerichts neu aufgenommenen Merkmale fehlen sollte.

3.
Soweit sich die Beklagte darüber hinaus auf ihre Berufung gegen das Urteil des Patentgerichts stützt, in der sie dargelegt habe, dass das Klagepatent im angegriffenen Umfang uneingeschränkt für nichtig zu erklären sei, ergeben sich daraus keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilung des Patentgerichts einer Überprüfung im Berufungsverfahren aller Voraussicht nach nicht standhalten wird.


III.
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens betreffend das Klagepatent ist hingegen begründet.

Ist ein Patentnichtigkeitsverfahren anhängig, kann im Patentverletzungsverfahren das Verfahren der Beschwerde gegen eine Nichtzulassung der Revision bis zur Entscheidung in dem Patentnichtigkeitsverfahren ausgesetzt werden (BGH, Beschluss vom 6. April 2004 X ZR 272/02, BGHZ 158, 372 Druckmaschinen-Temperierungssystem). Bei der insoweit zu treffenden Ermessensentscheidung sind alle für die Entscheidung relevanten Umstände einzubeziehen (BGH, Beschluss vom 28. September 2011 X ZR 68/10, GRUR 2012, 93 Klimaschrank).

Im Streitfall hat die Verletzungsbeklagte die Nichtigkeitsklage etwa ein Jahr nach ihrer Erwiderung im Verletzungsverfahren vor dem Landgericht eingereicht. In dieser Konstellation überwiegt grundsätzlich noch das Interesse des Verletzungsbeklagten an widerspruchsfreien Entscheidungen gegenüber dem Interesse des Verletzungsklägers an einem zeitnahen Abschluss des Verletzungsverfahrens. Das Interesse der Verletzungsbeklagten wird auch nicht dadurch verringert, dass das Berufungsgericht wie ausgeführt tatsächliche Feststellungen auch zu den im Urteil des Patentgericht in die Patentansprüche 1 und 40 neu aufgenommenen Merkmalen getroffen hat. Denn sollte die Berufung der Verletzungsbeklagten Erfolg haben, wäre das Klagepatent im angegriffenen Umfang uneingeschränkt für nichtig zu erklären und entstünde damit ein Widerspruch zur Grundlage des Urteils des Berufungsgerichts.

Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 02.07.2013, Az. 4a O 4/12
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.01.2015, Az. I-15 U 22/14